Wenn Umdenken zum Muss wird

Alan Ettlin

18. Dezember 2022

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Dieser Text ist eine Übersetzung des auf Englisch geschriebenen Artikels When Rethinking Becomes a Must (online / pdf), und wie dieser enthält er viele Zitate aus englischsprachigen Quellen. Um den Lesefluss zu fördern, sind die Zitate im vorliegenden Text übersetzt wiedergegeben, wobei sich die oftmals subtil differenzierenden Fachbegriffe und von den Autoren geprägte Wortbildungen nicht immer eindeutig übersetzen lassen. Im Zweifelsfall wird folglich auf das englischsprachige Original verwiesen.

Wenn man in einer komplexen Situation feststeckt und das Gefühl hat, dass es keine gangbaren Optionen mehr gibt, oder wenn man das Gefühl hat, sich in Verstrickungen zu verlieren und sich im Kreis zu drehen, muss man umdenken. In diesem Artikel werden wir uns damit beschäftigen, wie die inhärente – aber oft unerkannte – Komplexität vieler Management-Situationen dazu führen kann, dass wir «feststecken», und wie das erforderliche Umdenken erreicht werden kann. Zu diesem Zweck werden wir das Konzept der kulturellen und ethischen Neutralität sowie den Wert der Neutralität betrachten – eine Wortwahl, die einem wegweisenden Artikel von Stuart D.G. Robinson entnommen ist – wenn es um den Umgang mit der Art von komplexen Situationen geht, die prägend für die Arbeit von Führungskräften ist. Zunächst wird die Natur dieser Art von Komplexität umrissen, mit einem Exkurs zu den so genannten «wicked and messy problems» (also der Klasse der «bösen» und «unordentlichen» Probleme). Als nächstes befassen wir uns mit uns selbst, den Menschen, die an der Bewältigung solcher komplexen Situationen arbeiten, und untersuchen damit verbundene kulturelle Aspekte, Denkpräferenzen und Verhaltensmuster die unsere Wahrnehmungen und unser Denken sowie die Art und Weise, wie wir mit anderen zusammenarbeiten, um die uns umgebende Komplexität anzugehen, grundlegend beeinflussen. Abschliessend wird der Beitrag der Neutralität zur Problemlösung erörtert: wie sie dazu beitragen kann, die Essenz einer komplexen Situation zu erfassen sowie die Möglichkeit fundamental umzudenken und einen klaren Weg vorwärts zu finden.

Einleitung

Als ich während meines Studiums ein Jahr in Aberdeen verbrachte, musste ich mir von meinen schottischen und irischen Mitbewohnern immer wieder Sticheleien über die Schweizer Neutralität anhören. Meistens ging es im Kern darum, dass es für meine Kollegen unvorstellbar schien, keine Meinung zu einem bestimmten Thema zu haben. Ohne mir bis dahin allzu viele Gedanken über die Neutralität gemacht zu haben, irritierten mich diese scherzhaften Äusserungen, die auf einem tief verwurzelten, wenn auch impliziten Verständnis zu beruhen schienen, denn ich hatte die Schweizer nie als meinungslos empfunden und war damals selbst ein ziemlich meinungsfreudiger angehender Ingenieur mit einer klaren Vorstellung davon, wie die Welt funktionierte.

Während ich diesen Text im Jahr 2022 verfasse, ist die Schweizer Neutralität in den internationalen Medien so präsent wie schon lange nicht mehr. Am 28. Februar 2022 erklärte Ignazio Cassis, Schweizer Bundespräsident und Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten, dass der Angriff der Streitkräfte von Wladimir Putin auf die Ukraine sowohl völkerrechtlich als auch politisch und moralisch inakzeptabel sei. Die Schweiz schliesse sich deshalb den kürzlich verhängten EU-Sanktionen gegen russische Personen und Finanzinstitute an (Der Schweizerische Bundesrat, 2022). Später in derselben Pressekonferenz, nachdem drei weitere Bundesräte die Sanktionen aus ihren Departementen erläutert hatten, antwortete Cassis auf die Frage, ob die schweizerische Neutralität vom Entscheid betroffen sei: «gemäss Auslegung der Direktion für Völkerrecht, die Entscheide, die der Bundesrat heute trifft, berühren unser Neutralitätsrecht nicht.», d.h. dass das Neutralitätsrecht, das auf dem Haager Abkommen von 1907 beruht, nicht tangiert werde. Diese von einem ausgebildeten Juristen vorgebrachte Antwort ist zweifelsohne fachlich korrekt, könnte aber von dem Journalisten, wie auch von vielen Schweizerinnen und Schweizern sowie internationalen Beobachtern, die sich dieselbe Frage stellten, nur als teilweise Antwort empfunden worden sein.

Die Haager Konventionen, insbesondere die Konvention V «Über die Rechte und Pflichten neutraler Mächte und Personen im Falle eines Landkrieges» (The Hague International Conferences, 1907) und ihre Übernahme in das schweizerische Neutralitätsrecht, regeln Aspekte wie die Verpflichtung eines neutralen Staates, sich nicht an einem Krieg zu beteiligen, die Gleichbehandlung kriegführender Staaten bei der Ausfuhr von Kriegsmaterial sicherzustellen und keine Söldner an kriegführende Staaten zu «liefern». Anfang 2022 bestand kaum ein Zweifel daran, dass die Schweiz auf all diese Aktivitäten verzichten und damit ihre internationalen Verpflichtungen einhalten würde, doch die Verhängung einseitiger Wirtschaftssanktionen wurde von den russischen Behörden prompt als Neutralitätsverletzung dargestellt, vgl. z.B. das Fernsehinterview mit dem russischen Aussenminister Sergej Lawrow vom 16. März 2022 (Botschaft der Russischen Föderation in Deutschland, 2022), in dem er mit den Worten zitiert wurde: «Die Schweiz (…) ist zum Beispiel bereit, [im Konflikt] zu vermitteln. In diesem Zusammenhang ist es seltsam, dass Vermittlungsdienste von den Ländern angeboten werden, die sich den beispiellosen Sanktionen gegen Russland angeschlossen und das Ziel verkündet haben, (…) das russische Volk gegen die russischen Behörden aufzubringen.». Später im selben Interview verwendet Lawrow den Begriff «Krieg der Sanktionen», um zu beschreiben, woran sich die Schweiz beteiligt hat, und haftet ihr damit das Etikett einer kriegsführenden Partei an.

Zu dieser Zeit war der Druck auf die Schweizer Behörden, sich den internationalen Sanktionen gegen Russland anzuschliessen, beträchtlich, sowohl im eigenen Land als auch durch die westlichen Staaten, die diese Massnahmen initiiert hatten und sie so effektiv wie möglich gestalten wollten (SWI swissinfo.ch, 2022). Welche Folgen es für die laufenden Verhandlungen mit der EU über die gegenseitigen Beziehungen gehabt hätte, wenn sich die Schweiz nicht auf die Seite der EU geschlagen und sich den Sanktionen nicht angeschlossen hätte, bleibt natürlich Spekulation.

Zu Beginn des Krieges überschlugen sich die Ereignisse. Im Laufe des Jahres folgte eine aufgeheizte Debatte und die direkte Demokratie nahm ihren Lauf, als konservative Parteien eine Volksinitiative lancierten, um die immerwährende bewaffnete Neutralität der Schweiz durch eine Verfassungsänderung zu garantieren, vgl. z.B. (Fontana, 2022).

Auf der politischen Bühne werden die Dilemmata rund um die Neutralität und das, was man oxymoronisch als «neutrale Position» bezeichnen könnte, durch das obige Beispiel illustriert. Um uns den eher persönlichen, kulturellen und sozialen Facetten der Neutralität zu nähern, werde ich im Folgenden eine Reflexion über die Neutralität skizzieren, die ich aufgrund einer beruflichen Veränderung zu einem Zeitpunkt durchlaufen habe, der mit den Ereignissen in der Ukraine zusammenfällt.

Der Wert der Neutralität

Während der letzten sieben Jahre habe ich mich zunehmend enger mit Stuart D.G. Robinson und dem 5C Centre for Cross-Cultural Conflict Conciliation assoziiert, während ich über bbv Consultancy, einer Einheit des Softwareunternehmens, für das ich parallel dazu arbeitete, Beratungsdienste zu den Themen der Unternehmensvisionen, Strategien, Kultur und Ethik angeboten habe. Von Beginn dieser Zusammenarbeit an hat Stuart den Wert der Neutralität für die spezifische Art der Beratung, die wir anbieten, betont, was auch dadurch illustriert wird, dass ein zentraler Artikel von ihm genau diesen Namen, «The Value of Neutrality», trägt (Robinson, 2007).

Zwei Schlüsselphänomene, mit denen sich Stuart in diesem und anderen Artikeln befasst – und die mir mit wachsendem Bewusstsein in vielen Situationen bei der Arbeit mit Klienten immer bewusster geworden sind – sind die Multikulturalität und die Multiethik, d. h. die Tatsache, dass die Art und Weise, wie Menschen ihre Umgebung wahrnehmen, diese Wahrnehmungen interpretieren und nach diesen Interpretationen handeln, stark von ihrem jeweiligen kulturellen und ethischen Hintergrund beeinflusst wird. Wichtig ist, dass sich der Begriff «kultureller Hintergrund» nicht auf nationale Kulturen oder deren stereotypischen Merkmale bezieht (wie es möglicherweise meine Mitbewohner in Aberdeen taten, als sie mir als Schweizer das Etikett der «Neutralität» angehängt haben), sondern dass es sich um ein Konzept handelt, das die Gesamtheit der kulturellen Prämissen und Grundsätze beschreibt, die den Mitgliedern einer bestimmten kulturellen Gemeinschaft1 eigen sind. Zweifellos wird sich der Leser an Situationen erinnern, in denen beispielsweise in einem Unternehmensumfeld verschiedene Personen oder Gruppen voneinander abweichende Verhaltensmuster an den Tag gelegt haben, die auf ihren jeweiligen kulturellen Hintergründe und ihre ethischen Werte zurückzuführen sind. Bemerkenswerterweise sind die Phänomene der Multikulturalität und Multiethik gleichermassen in Organisationen zu beobachten, die für sich beanspruchen, eine starke und standardisierende Unternehmenskultur, d.h. eine Monokultur, zu haben, und die einen dezidiert normativen Ethikkodex, d.h. eine Monoethik, propagieren.

Die Argumentationslinie von (Robinson, 2007) lässt sich wie folgt umreissen: Unsere Welt – und in vielen Fällen unsere unmittelbare Umgebung –ist von Natur aus und in zunehmendem Masse multikulturell und multiethisch, d. h. sie besteht aus zahlreichen, sich situativ verändernden und überlappenden Gruppen von Menschen, die jeweils ein System von Wahrnehmungen, Werten und kulturellen Prinzipien teilen. Wenn vor diesem Hintergrund ein kultureller Konflikt als

«Manifestation von Dissonanzen an der Schnittstelle zwischen zwei oder mehreren Kulturen zu einem bestimmten Zeitpunkt»

definiert wird, so folgt, dass die meisten Konflikte zumindest eine kulturelle Komponente haben. Es kann daher aufschlussreich und förderlich für die Lösung vieler Konflikte im Organisations- und Privatleben sein, sie als kulturelle Konflikte zu betrachten, auch wenn die beteiligten Parteien sie von sich aus nie so bezeichnen würden. Dies zu tun und dabei von den Konfliktparteien als kulturell neutral wahrgenommen zu werden, ist der Beitrag eines interkulturellen Konfliktkonziliators, und unterscheidet den oben beschriebenen Konfliktlösungsansatz klar von den vielen oft ausgesprochen un-neutralen und monokulturell geprägten Mediationsansätzen.

Meine eigenen Gedanken und Überlegungen sind von der Lösung interkultureller Konflikte weitergezogen und haben sich mit der breiteren Palette an Managementthemen und verschiedenen kulturellen und organisatorischen Kontexten beschäftigt, in denen Stuart und ich gearbeitet haben. Es sind diese Themen rund um Unternehmensvisionen, -strategien, -kultur und -ethik, mit denen ich mich nun mit «Essentis» befasse, dem Unternehmen, das meine Frau und ich Ende 2021 gegründet haben. Ein wichtiger Grund für diesen Schritt in die Selbstständigkeit ist es, auszuschliessen, aufgrund der Zugehörigkeit zu einem Arbeitgeber als nicht neutral wahrgenommen zu werden – frei nach «Wess’ Brot ich ess’, dess’ Lied ich sing».

Die Beiträge, die ich bisher habe leisten können, scheinen sich als Beiträge zu «essentiellem Umdenken» zusammenzufassen zu lassen – ein Konzept, das wir nachfolgend aus verschiedenen Perspektiven betrachten werden. Wir beginnen mit einigen Gedanken dazu, was die Lösung häufig vorkommender, aber komplexer Situationen in der Unternehmensführung so herausfordernd macht – so sehr, dass sie als «wicked» and «messy», also «böse» und «unordentlich» bezeichnet werden – und warum wir so oft in ihnen feststecken.

«Wicked and Messy Problems» – «böse» und «unordentliche» Probleme

Zu den gedanklichen Kernelementen, die das Fundament einer jeden Organisation bilden, gehören die Vision, die ihr eine sinnvolle Orientierung gibt, die Strategie, mit der die Vision verfolgt wird, die Kultur, in der die Strategie umgesetzt wird, sowie die ethischen Werte, aus denen die Organisation Kraft und Identität schöpfen kann. Es liegt in der Natur der Sache, dass diese grundlegenden Elemente nicht sinnvollerweise isoliert betrachtet und entwickelt werden können, sondern ständig und sorgfältig aufeinander abgestimmt werden müssen, um ihre Kongruenz zu gewährleisten.

Dies ist eine Aufgabe von inhärenter Komplexität, die noch viel grösser wird, wenn man das soziale System berücksichtigt, in dem und für das die interagierenden Komponenten erschaffen, kommuniziert, interpretiert und operationalisiert werden. Jeder, der sich in der Praxis ernsthaft mit den oben genannten Themen auseinandergesetzt hat, kennt zweifellos die Herausforderungen, die damit verbunden sind, vor allem, wenn man den Bereich der theoretischen Überlegungen verlässt und in der Realität das Gefühl hat, dass keine gangbaren Optionen verbleiben oder dass man von zu vielen denkbaren Handlungsoptionen überwältigt wird, von denen keine einen klaren Weg nach vorne zu weisen scheint. Mit anderen Worten: Man «steckt fest». Der ständige Zeitdruck, der so typisch für die heutige Geschäftswelt ist, macht die Sache noch schlimmer und kann zu sehr bedauerlichen Entscheidungen führen. Rückblickend handelt es sich oft um Situationen, die ein fundamentales Umdenken erfordert hätten.

Um besser zu begreifen, warum wir «feststecken», ist es hilfreich, die Eigenschaften unseres Umfelds und dessen Auswirkungen auf die missliche Lage zu betrachten. Die enge Verflechtung der verschiedenen Umfeldfaktoren führt dazu, dass wir es nicht mit isolierten Problemen und Entscheidungen zu tun haben, und nicht der Illusion erliegen sollten, Probleme und Entscheidungen isoliert zu betrachtet und einzeln nach dem altbewährten Prinzip «divide et impera»2 anzugehen, um unvorhergesehene Folgen an anderer Stelle zu vermeiden. Es hat sich gezeigt, dass die häufig nichtlineare und nichtdeterministische Natur der Faktoren und ihrer Wechselwirkungen sowie die sich ständig verändernde soziale Dynamik eher die Norm als die Ausnahme sein können. Probleme in einem solchen Umfeld lassen sich oft nicht klar formulieren, wodurch die Fähigkeit, die richtige Frage präzise zu formulieren, bereits einen entscheidenden Beitrag zur Lösung darstellt. Darüber hinaus kann eine Lösung, wenn sie einmal gefunden zu sein scheint, in der Praxis weder getestet noch verifiziert, geschweige denn optimiert werden.

Solche Situationen wurden von Horst Rittel als «böse Probleme» («wicked problems»)3 bezeichnet (Churchman, 1967) – im Gegensatz zu «zahmen» («tame») Problemen, die häufig in Wissenschaft und Technik anzutreffen sind, wo die Aufgabe klar ist und die Lösung des Problems überprüft werden kann – und anschliessend aus einer Systemperspektive untersucht, vgl. z.B. (Rittel, 1972) und (Rittel and Webber, 1973). Die Unmöglichkeit, klar definierte Problemstellungen zu formulieren, veranlasste den bedeutenden Organisationstheoretiker und Systemdenker Russell Ackoff, diese Art von Problemen schlichtweg als «Unordnung» («mess») zu bezeichnen (Ackoff, 1974).

Kurz darauf wurde «die Natur realer Probleme» mit ihrer inhärenten Komplexität in Verbindung gebracht (Mason and Mitroff, 1981) und in der Folge aus der Perspektive der Komplexitätstheorie untersucht (Stacey, 1996). Wenn man bedenkt, wie unvorhersehbar (mit anderen Worten: chaotisch) ein so einfaches System wie ein Doppelpendel sein kann (Levien and Tan, 1993) – und wie sicherlich jeder Ingenieurstudent bezeugen kann, der versucht hat, eine umgekehrte Inkarnation dieses einfachen Geräts, das nur aus zwei Stäben und zwei Scharnieren besteht, zu regeln – wirkt die blosse Vorstellung, ein derartiges Problem in der realen Welt mit ähnlichen Methoden regeln zu wollen, wahrlich entmutigend und die Sinnlosigkeit oder gar Absurdität des Unterfangens wird offensichtlich.

Glücklicherweise ist jedoch nicht alle Hoffnung im Chaos verloren, da viele typische betriebswirtschaftliche Probleme klar in den Bereich der Komplexität oder des «komplexen Entscheidungskontextes» nach David Snowdens Cynefin Framework fallen, d. h. in den Bereich, in dem man sich mit den «unbekannten Unbekannten» befasst, im Gegensatz zu den «Unkennbaren» im Chaos und den «bekannten Unbekannten» im «komplizierten» Bereich, die von Experten analytisch angegangen werden können (Snowden and Boone, 2007), z. B. mit traditionellen Ingenieurs- oder Managementansätzen. Gemäss Snowden können diese «unbekannten Unbekannten» vorsichtig durch Experimente eruiert werden, was zu emergenten Lösungen führt, die in kleinen Schritten angegangen werden können. Dabei wird der Kurs jeweils angepasst, wenn die unbekannten Unbekannten vorübergehend etwas weniger unbekannt werden. Ausgestattet mit diesem Verständnis ist es nicht verwunderlich, dass angesichts der Häufigkeit und Relevanz solcher Situationen in der Unternehmensführung zahlreiche alternative Lösungsansätze4 vorgeschlagen worden sind, von denen im Folgenden eine Auswahl vorgestellt wird.

Die morphologische Analyse wird von Tom Ritchey (Ritchey, 2011) verwendet, wobei morphologische Modelle in der Tradition des Schweizer Astronomen Fritz Zwicky (Zwicky, 1969) mit Unterstützung spezieller Software angewandt werden, um mehrdimensionale Inferenzmodelle der untersuchten komplexen Situation zu untersuchen. Entscheidend scheint, dass dabei die «bösen» Probleme in Zusammenarbeit mit Stakeholdern und Domänenexperten in einer Reihe von Workshops angegangen werden:

«[Morphologische Analyse] unterstützt den Prozess, in dem die Stakeholder lernen, die komplexen Fragen und Zusammenhänge der „bösen Probleme“, mit denen sie konfrontiert sind, zu verstehen, und hilft ihnen, die Positionen und Argumente der anderen Stakeholder besser zu verstehen».

Robert Horn schlägt die Anwendung seiner visuellen Sprache, vgl. (Horn, 1998), vor, um «kleine bis mittelgrosse soziale Unordnungen» anzugehen, was zu einer Methodik namens «Mess Mapping» führt (Horn, 2018). Horn beschreibt eine wichtige Erkenntnis im Rahmen der Verfeinerung des Ansatzes zur Bewältigung einer solchen «Unordnung», die mehrere Organisationen betrifft, wie folgt:

«Wir haben gelernt (…), dass man sicherstellen muss, dass die wichtigsten Interessengruppen an der Taskforce beteiligt sind und dass sie sich im selben Raum befinden, um uns und sich gegenseitig zu sagen, wie sie die Probleme aus ihrer Sicht sehen. In den nachfolgenden Mess-Mapping-Prozessen waren die Teilnehmer unserer Taskforce Direktoren, Vizepräsidenten, CEOs [oder] die jeweiligen Stellvertreter in ihren Organisationen.»

Jeffrey Conklin schlägt «Dialogue Mapping» vor (Conklin, 2005), eine Technik, bei der ein spezielles Argumentationsschema verwendet wird, um die Ideen der Workshop-Teilnehmenden in Form von Fragen und Antworten sowie Pro- und Kontra-Argumenten zu entwickeln, deren Ergebnisse in einer sich entwickelnden «Landkarte» des Gesprächs visualisiert werden:

«Die zentrale These (…) ist, dass in unserem Toolkit für soziale Netzwerke eine Umgebung oder ein „Container“ fehlt, in dem die Beteiligten zurücktreten können, um das grosse Ganze zu sehen, den grösseren Kontext, in dem sie alle im selben Team sind und alle die gleichen oder ähnliche Ergebnisse wollen.»

Nancy Roberts kontrastiert verschiedene «Bewältigungsstrategien» für «böse» Probleme anhand einer Fallstudie über die Koordination der internationalen Hilfsbemühungen für Afghanistan in den späten 1990er Jahren, die den Erfolg von kooperativen Strategien aufzeigt (Roberts, 2000)5. Die erfolgreiche Zusammenarbeit wird unmissverständlich in der Sprache der Komplexitätstheorie wie folgt beschrieben:

«Die Teilnehmer schufen ein „komplexes adaptives System“ – ein System, das seine eigenen Verhaltensregeln entwickelte, sein Verhalten reflektierte und seine Interaktionen auf der Grundlage des Gelernten selbständig steuerte.»

und wird verwendet, um einen Punkt zu betonen, der besonders wertvoll ist, wenn man in einer Führungsposition mit «bösen» Problemen konfrontiert wird, und der ebenso relevant sein wird, wenn wir überlegen, wie man als «Facilitator»6 zum Umgang mit solchen Problemen beitragen kann:

«weniger Heldentum, mehr Bescheidenheit und eine grössere Wertschätzung von „experimentieren“, „sich vorwärts tasten“ und „sich durchwursteln“, als wir normalerweise angesichts der hohen Bedeutung unseres analytisch-rationalen Werkzeugkastens und unserer Praxis im strategischen Management zulassen.»

Neben diesen exemplarischen Ansätzen zur Bewältigung von «bösen» Problemen gibt es eine Fülle betriebswirtschaftlicher Denkschulen und folglich fast unzählige Modelle und Instrumente, die die zugrundeliegende Komplexität der Situation nicht explizit berücksichtigen und die von ihren Befürwortern oft leidenschaftlich propagiert und in der Praxis angewendet werden7. Solche Ansätze können natürlich trotzdem zielführend bei der Problemlösung eingesetzt werden, wenn dies in einer Art und Weise getan wird, die den gemeinsamen Nenner der oben genannten Autoren unterstützt, nämlich, dass es die Zusammenarbeit verschiedener Menschen ist, die jeweils unterschiedliche Beiträge einbringen, die ein erfolgreiches Experimentieren und Lernen in der Komplexität ermöglicht. In den Empfehlungen von David Snowden wird diese Erkenntnis aufgegriffen:

«Öffnen Sie die Diskussion. Komplexe Zusammenhänge erfordern mehr interaktive Kommunikation als alle anderen Bereiche.»,

wofür er vorschlägt,

«effiziente Ansätze zur Förderung demokratischer, interaktiver, multidirektionaler Diskussionsrunden (…), mit denen Menschen innovative Ideen generieren, die den Führungskräften bei der Entwicklung und Umsetzung komplexer Entscheidungen und Strategien helfen.»

(Snowden and Boone, 2007)

einzusetzen.

Dialog, Kultur, Denken und Handeln

Offensichtlich hat nicht jeder Austausch, den wir im Alltag als «Dialog» bezeichnen, die Qualität, die erforderlich ist, um erfolgreich am Rande des Chaos zu experimentieren und die Verstrickungen zu entwirren, die uns daran hindern, adäquat umzudenken. Ausgehend von einer Definition von

«einer Diskussion zwischen zwei oder mehreren Personen oder Gruppen, die insbesondere auf die Erkundung eines bestimmten Themas oder die Lösung eines Problems abzielt»,

(Stevenson, 2010)

lassen wir den renommierten theoretischen Physiker David Bohm zu Wort kommen, der auf dem Gebiet der Quantenphysik arbeitete und in seinem späteren Leben den Dialog zur Überwindung festgefahrener persönlicher Überzeugungen propagierte (Bohm, 1996). In einem für die Entwicklung seines Denkens über den Dialog bahnbrechenden Workshop stellte er fest:

«Es stellte sich allmählich heraus, dass es in Wirklichkeit um etwas Wichtigeres ging – das Erwachen des Dialogprozesses selbst als ein freier Fluss von Verständnissen zwischen allen Teilnehmern. Am Anfang äusserten die Menschen feste Positionen, die sie zu verteidigen suchten, aber später (…) beginnt eine neue Art des Denkens zu entstehen, die auf der Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses beruht, die sich im Prozess des Dialogs ständig wandelt. Die Menschen befinden sich nicht mehr primär in Opposition zueinander, und man kann auch nicht sagen, dass sie interagieren, sondern sie nehmen an diesem Pool gemeinsamen Verständnisses teil, der zu ständiger Entwicklung und Veränderung fähig ist.»

(Bohm, 1987).

Diesem Gedankengang folgend wird der beschriebene Prozess der dialogischen Anreicherung nicht mehr als Nullsummenspiel gesehen, bei dem der Gewinn der einen Partei der Verlust der anderen ist, sondern führt zu der – zunächst vielleicht impliziten – Einsicht, dass durch Zusammenarbeit und Beiträge aller Parteien zu einem gemeinsamen Ganzen eine positive Summe erreicht werden kann.

Wenn wir nun auf unsere frühere Feststellung zurückkommen, dass die heutige Welt und unsere unmittelbare Umgebung zunehmend multikulturell und multiethisch geprägt sind, wenden wir uns nun uns selbst als Teilnehmende an einem solchen Dialog zu, um die Auswirkungen dieser Facetten der Vielfalt besser zu verstehen. Zu diesem Zweck wird der Begriff «Deep Culture» verwendet, um die verborgenen Aspekte der Kultur zu bezeichnen, d. h. jene kulturellen Elemente, die von unseren menschlichen Sinnen nicht unmittelbar wahrgenommen werden können, die aber unsere Motive, unser Handeln und auch unsere ethischen Werte bestimmen – sowohl auf individueller Ebene als auch auf der Ebene einer Gruppe, die bestimmte Eigenschaften der Deep Culture teilt (Robinson, 2009).

Immer wieder lässt sich bei kollaborativen Problemlösungsworkshops beobachten, wie wir Teilnehmende zunächst mit den besten Absichten, viel Engagement und Energie sowie dem starken Willen, das anstehende Problem zu lösen, in den Workshop einsteigen. Unabhängig von der im Workshop verwendeten Methodik oder Herangehensweise erleben wir oft, dass es der Gruppe nicht gelingt, in die energetisierende Dynamik des Dialogs zu gelangen, wie oben von Bohm anschaulich postuliert. Nicht, dass der Dialog nicht lebendig wäre, aber oft wird nach Stunden oder gar Tagen intensiver Zusammenarbeit klar, dass wir nicht die gewünschten und erforderlichen Fortschritte machen.

  1. Manchmal scheint es der Gruppe trotz der Einigung auf gemeinsame Ziele nicht zu gelingen, die anfänglichen «festen Positionen» zu überwinden.
  2. In anderen Fällen werden diese Positionen, zusammen mit der allfälligen anfänglichen «Opposition» zueinander scheinbar überwunden, aber der «Pool gemeinsamen Verständnisses» scheint dann doch nicht so gemeinsam zu sein, da dieselben Themen immer wieder aufgegriffen werden müssen – zur wachsenden Frustration aller Beteiligten.
  3. In wiederum anderen Fällen wird der «freie Fluss von Verständnissen» nicht geweckt, die anfänglichen «festen Positionen» verfestigen sich weiter und eine konflikthafte Dynamik wird dominant.

Was den letzten Fall betrifft, können wir uns dem Artikel von Stuart (Robinson, 2007) zuwenden, der die Konfliktschlichtung mit dem Beitrag der kulturellen und ethischen Neutralität ausführlich behandelt. Ausgehend von dem Verständnis, dass in allen drei oben genannten Fällen die zugrundeliegenden Phänomene der Kultur, der Denkstile und der Verhaltensmuster von Bedeutung sind, können wir auf den Grundsätzen und Erkenntnissen des oben genannten Artikels aufbauen, während wir uns im weiteren Verlauf dieses Textes auf die ersten beiden Szenarien konzentrieren.

Beginnen wir mit der Feststellung, dass viele Menschen – und insbesondere Manager 8 – darauf konditioniert sind, kausal-deterministisch zu denken. In diesem Denken bestimmen Ursache-Wirkungs-Beziehungen das Ergebnis der aktuellen Situation und bilden somit eine solide Grundlage für die Gestaltung der eigenen Handlungen zur Beeinflussung der sich entwickelnden Ereignisse, d. h.

«die Auffassung, dass jedes Ereignis oder jeder Zustand durch vorangegangene Ereignisse oder Zustände in Übereinstimmung mit universellen Kausalgesetzen, die die Welt regieren, hervorgerufen wird.»,

(Audi, 1999)9.

In diesem Denken wird der Zufall negiert und unvorhergesehene Folgen werden auf ein unvollständiges Verständnis der herrschenden Ursache-Wirkungs-Beziehungen und der Ausgangslage, aus der das Ergebnis abgeleitet wurde, zurückgeführt. Immanuel Kant ging sogar so weit, den universellen kausalen Determinismus zu einer notwendigen Bedingung aller wissenschaftlichen Erkenntnis zu erheben, vgl. z.B. (Gigerenzer et al., 1989). Umgekehrt macht sich der amerikanische Schriftsteller und Bürgerkriegsveteran Ambrose Pierce über eine solche absolute Form des Determinismus und unser unvollständiges Verständnis der damit verbundenen Zusammenhänge lustig, wenn er in seinem «Wörterbuch des Teufels» schreibt:

«Wirkung: n. Das zweite von zwei Phänomenen, die immer in der gleichen Reihenfolge auftreten. Die erste, Ursache genannt, soll die andere hervorbringen – was nicht sinnvoller ist, als wenn jemand, der noch nie einen Hund gesehen hat, ausser bei der Verfolgung eines Kaninchens, das Kaninchen zur Ursache eines Hundes erklären würde.»

(Bierce, 1911).

Lineares und nicht-lineares Denken

Eine eindeutige Präferenz für kausalen Determinismus kann ein Hinweis auf den Denkstil der betreffenden Person sein, da sie häufig mit einer Vorliebe für linear strukturierte Logik (Robinson, 1995) und einer Begabung für analytisches Denken, logisches Schlussfolgern und Rationalität einhergeht. Menschen mit der gegenteiligen, nicht-linearen Disposition zeigen eine Vorliebe für Synthese und vernetztes Denken, vgl. z.B. (Herrmann, 1989). Bei wissenschaftlichen Untersuchungen bilden Analyse und Synthese einen Zyklus, und Fortschritte werden durch die Wiederholung solcher Zyklen erzielt, wobei stets neue Erkenntnisse berücksichtigt werden. In den Worten von Tom Ritchey:

«Analyse und Synthese gehen als wissenschaftliche Methoden immer Hand in Hand; sie ergänzen sich gegenseitig. Jede Synthese baut auf den Ergebnissen einer vorangegangenen Analyse auf, und jede Analyse erfordert eine nachfolgende Synthese, um ihre Ergebnisse zu überprüfen und zu korrigieren.»

(Ritchey, 1991).

In einer gegebenen Situation kann sich entweder eine Analyse oder eine Synthese als vorteilhafter für das Voranbringen der Untersuchungen erweisen, aber es wäre falsch, daraus abzuleiten, dass die eine Methode generell der anderen überlegen ist. In jeder Gruppe von Menschen, die zusammenarbeiten, um eine komplexe Situation zu bewältigen, gibt es zwangsläufig Unterschiede in Bezug auf solche Denkpräferenzen. Zwar ist jeder von uns bis zu einem gewissen Grad zu beiden Denkweisen fähig, doch kommen im wirklichen Leben immer wieder persönliche Vorlieben zum Vorschein, was sich für die Gruppe als Ganzes als wertvoll erweisen kann, sofern die Unterschiede erkannt und angemessen gehandhabt werden, um Missverständnisse und Meinungsverschiedenheiten über die Vorgehensweise zu vermeiden.

Universalismus und Partikularismus

Aus kultureller Sicht kann die Logik von Ursache und Wirkung – genau wie andere Konzeptualisierungen – entweder von einer globalen, universalistischen oder von einer partikularistischen Denkweise ausgehend verwendet werden. In letzterer werden unterschiedliche Kontexte differenziert und Kausalitäten jeweils unabhängig voneinander bewertet, ohne die Notwendigkeit, verallgemeinerte «Naturgesetze» von universeller Gültigkeit abzuleiten, wie es im Universalismus der Fall ist. Die Debatte zwischen den Befürwortern des Partikularismus und des Universalismus wird spätestens seit Aristoteles in seiner Nikomachischen Ethik geführt, worin er feststellte, dass das Gesetz zwar eine allgemeine Regel aufstellt, aber wenn ein Fall auftritt

«der von der allgemeinen Aussage nicht abgedeckt wird, dann ist es richtig, wenn der Gesetzgeber uns im Stich gelassen und durch zu grosse Vereinfachung geirrt hat, dieses Versäumnis zu korrigieren – zu sagen, was der Gesetzgeber selbst gesagt hätte, wenn er anwesend gewesen wäre.»

(Aristoteles, 2009).

Die Morallehre ist bis heute eine Disziplin, in der in meiner Einschätzung die jeweiligen Vorzüge von Partikularismus und Universalismus mit besonderer Vehemenz diskutiert werden, wie ein kurzer Auszug aus einem Aufsatz von Jay Garfield illustriert:

«Partikularisten (…) betonen das, was man die „Dichte“ der moralisch relevanten Beschreibungen von Handlungen nennt: ihre Sättigung mit kulturellen und sozialen Bedeutungen, die sie nicht von Kontext zu Kontext übertragbar machen. Eine „dichte“ Beschreibung kann nicht in kultur- oder kontextneutralen Begriffen ausgedrückt werden, sondern impliziert vielmehr eine reiche Menge von Werten und Verpflichtungen, die das Handeln bestimmen, leiten und motivieren. Partikularisten argumentieren, dass universelle Beschreibungen –solche, die von dieser Partikularität und von der Besonderheit der Situation individueller moralischer Subjekte oder Akteure abstrahieren – notwendigerweise nicht moralisch relevant oder handlungsleitend sein können, gerade weil sie von genau den semantischen Verbindungen abstrahieren, die moralische Beschreibungen handlungsrelevant und kritikfähig machen.»

(Hooker and Little, 2001).

Die fundamentalen Auswirkungen unterschiedlicher Neigungen zu Universalismus und Partikularismus in einem interkulturellen Konflikt werden von Stuart in (Robinson, 2007). veranschaulicht. Diese Dichotomie kann als eine Dimension angesehen werden, entlang derer die kulturelle Disposition von Menschen, z. B. in einer Workshop-Situation, liegt. In der Tat behindern Unterschiede entlang dieser Dimension oft die rasche Erreichung eines, wie Robert Horn es nennt, «gemeinsamen mentalen Modells der Unordnung» und möglicher Lösungen für die zu bewältigende Situation.

Atomismus und Holismus

Häufig ist in Verbindung mit einer Vorliebe für kausalen Determinismus die Neigung zu beobachten, Situationen, die zu gross erscheinen, um sie als Ganzes anzugehen, nach dem oben erwähnten Prinzip «Teile und Herrsche» zu behandeln. Dieser Ausdruck des atomistischen Dekonstruktivismus ist in der Tat ein integraler Bestandteil der Wissenschaft und des Ingenieurwesens, vgl. z.B. (Chmarra et al., 2008), und ganz explizit des Software-Engineerings, wo er klassischerweise beim Entwurf von Algorithmen angewendet wird. In einer faszinierenden Entwicklung sind aus diesem algorithmischen Denken menschliche Problemlösungsansätze abgeleitet worden, vgl. (Knapp et al., 2016), womit es sich anfühlt, als hätte sich das Rad im Kreis gedreht.

Der «Teile und Herrsche»-Ansatz hat seine Wurzeln im Reduktionismus, der philosophischen Sichtweise, nach der

«eine Eigenschaft oder eine Aussage zu reduzieren bedeutet, eine Erklärung dafür zu geben, die ihre Gleichwertigkeit mit einer oder mehreren anderen, grundlegenderen Eigenschaften oder Aussagen zeigt.»

(Houdé et al., 2004).

In der Wissenschaft kann der Reduktionismus verstanden werden als die

«Position, die behauptet, dass ein komplexes System nichts anderes ist als die Summe seiner Bestandteile und dass eine Beschreibung des Systems auf die Beschreibung seiner einzelnen Bestandteile reduziert werden kann.»

(Kricheldorf, 2016),

eine Position, die bedeutende wissenschaftliche Fortschritte ermöglicht hat, aber im Laufe der Geschichte auch stark kritisiert worden ist:

«Jemanden als „Reduktionisten“ zu bezeichnen, geht in der Presse der Hochkultur ausserhalb der seriösen Philosophie, über eine blosse Kritik oder den Ausdruck akademischer Meinungsverschiedenheiten hinaus; es bedeutet, eine Person herabzuwürdigen, sie und ihr Werk zu verhöhnen.»

(Kim, 1998).

Wenn wir den Reduktionismus betrachten und die entsprechenden Dynamiken in einem multikulturellen und multiethischen Umfeld verstehen wollen, können wir die Dimension betrachten, die aufgespannt wird durch Atomismus, definiert in (Robinson, 2010) als

«hier verwendet, um eine kartesianische, im Wesentlichen dualistische, mechanistische, positivistische Konditionierung des Geistes zu bezeichnen; es ist eine, die klare Unterscheidungen schafft und schätzt und die im Kern des westlichen wissenschaftlichen Denkens zu finden ist.»

und Holismus, einer Sichtweise, nach der

«die Eigenschaften des Ganzen nicht aus den Eigenschaften der Teile vorhergesagt oder erklärt werden können»

(Houdé et al., 2004),

die aber auch noch weiter gehen kann, indem sie einschliesst, dass

«ein Ganzes nicht auf seine Teile reduziert werden kann und ein Teil nicht losgelöst von dem Ganzen, zu dem es gehört, verstanden werden kann.»

(Bunnin and Yu, 2004).

In seiner Studie über die Nicht-Dualität von Subjekt und Objekt – Seher und Gesehenem – kommt David Loy zu einem ähnlichen Verständnis, das das allumfassende «Ganze» («whole») im Sinne des «wholismus», einer alternativen Schreibweise von «Holismus» im Englischen, betont und hervorhebt. Dieses Verständnis führt uns auch zu der Einsicht, dass der Atomismus Teil des Holismus ist, eine Einsicht, die offensichtlich nicht umgekehrt werden kann, was die asymmetrische Beziehung zwischen den beiden Konzepten verdeutlicht und folglich die Dynamik der Menschen, die kulturell zu dem einen oder anderen von ihnen tendieren:

«Es liegt an den Überlagerungen dualistischen Denkens, dass wir die Welt selbst dualistisch erleben (…) als eine Ansammlung von diskreten Objekten (eines davon bin ich), die kausal in Raum und Zeit interagieren. Die Verneinung des dualistischen Denkens führt zur Verneinung dieser Art, die Welt zu erleben. Dies bringt uns zu [einem besonderen] Sinn der Nondualität: dass die Welt selbst nicht plural ist, weil alle Dinge „in“ der Welt nicht wirklich voneinander getrennt sind, sondern zusammen ein integrales Ganzes bilden.»

(Loy, 1999).

David Bohm, den wir oben bereits kennengelernt haben, kommt in seinem Dialog mit dem theoretischen Physiker Basil Hiley zu einem ähnlichen Punkt, während er die Möglichkeit einer ontologischen Interpretation der Quantenmechanik untersucht, wie in deren Buch «The Undivided Universe» dargelegt wird, das am Ende von Bohms fruchtbarem Leben fertiggestellt wurde:

«Wir sehen, dass jeder Mensch in ähnlicher Weise an der Gesellschaft und dem Planeten als Ganzem untrennbar beteiligt ist. Es lässt sich ferner vermuten, dass diese Beteiligung zu einem grösseren kollektiven Bewusstsein und vielleicht letztlich zu einem noch umfassenderen Bewusstsein führt, das prinzipiell in der Lage ist, unendlich weit über die menschliche Spezies als Ganzes hinauszugehen.»

(Bohm and Hiley, 1995).

Individualismus und Kollektivismus

Bei der Betrachtung des primären Bezugsrahmens, in dem Menschen denken und handeln, lassen sich zwei weitere Deep Culture Neigungen erkennen, die die Art und Weise der Interaktion zwischen denjenigen, die sich mit einer komplexen Situation befassen, erheblich beeinflussen. Menschen mit einer stark individualistischen Veranlagung interagieren sozial aus einer Haltung der Bekräftigung der psychologischen Unabhängigkeit heraus, was bedeutet, dass die individuelle Meinung geschätzt und gesucht wird, ebenso wie das Streben nach Selbstverwirklichung. Menschen mit einer stark kollektivistischen Veranlagung hingegen betonen den Vorrang der Gruppe vor dem Individuum und eine Haltung der gegenseitigen Abhängigkeit innerhalb der Gruppe. Bei der Entscheidungsfindung – und damit auch bei der Problemlösung – neigen Individualisten dazu, Kompromisse mit sich selbst und mit anderen zu suchen und oft zu ihrem eigenen Vorteil zu verhandeln, um sich dann an das zu halten, worauf sie sich geeinigt haben ohne dabei ihre ursprüngliche Position zu vergessen. Kollektivisten hingegen neigen dazu, ein einvernehmliches Ergebnis im gemeinsamen Interesse anzustreben und dazu beizutragen, gefolgt von einer Mitverantwortung für die Umsetzung der getroffenen Entscheidung – ohne individuelles Einnehmen von Positionen.

Unsicherheitsvermeidung

Der Umgang mit «bösen» Problemen – und allgemeiner mit typischen Managementproblemen – beinhaltet den Umgang mit unvollständigen Informationen und die Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen, ohne alle Fakten auf dem Tisch und genügend Zeit zu haben. In seinem zum Denken anregenden Buch «Conceptual Blockbusting» über die Erweiterung des eigenen «Denkvokabulars» bei der Lösung von Problemen schreibt James Adams

«In gewissem Sinne bedeutet Problemlösung, Ordnung ins Chaos zu bringen. Der Wunsch nach Ordnung ist daher notwendig. Allerdings ist die Fähigkeit, Chaos zu tolerieren, ein Muss.»10

(Adams, 1986).

Weiter beschreibt er eine «emotionale Blockade» einer erfolgreichen Problemlösung als «Unfähigkeit, Mehrdeutigkeiten zu tolerieren; überwiegender Wunsch nach Ordnung; „kein Appetit auf Chaos“». Die Fähigkeit, Mehrdeutigkeiten zu tolerieren und im Unklaren zu operieren und dennoch das Wesentliche einer komplexen Situation zu finden, kann mit der Deep Culture Dimension der Unsicherheitsvermeidung in Verbindung gebracht werden, die beschreibt, wie sich verschiedene Kulturen hinsichtlich des Grades unterscheiden, in dem sie versuchen, Ungewissheit und Mehrdeutigkeiten zu vermeiden11, z. B. durch die Anwendung sorgfältig verinnerlichter Verhaltensweisen und Mechanismen, um unkontrollierbare Situationen entweder zu umgehen oder das Gefühl zu erlangen, sie zu kontrollieren12.

Wenn wir uns in einer Gruppe mit einem komplexen Problem befassen, wird die Wahl des nächsten durchzuführenden «Experiments» oder der nächsten anzuwendenden Methode von unserer kulturellen Konditionierung beeinflusst, einschliesslich unserer «Toleranz für Mehrdeutigkeiten». Manchmal kann es sinnvoll sein, bewusst mehr Ambiguität zuzulassen, um das zu erreichen, was man den «Sweet Spot» («optimalen Punkt») für Kreativität nennen kann, direkt am «Rande des Chaos» – siehe (Stacey, 1996) und auch also (Eisenhardt and Brown, 1998) für eine Anwendung auf dem Gebiet der Unternehmensstrategie:

«Traditionelle Strategie beginnt mit Plänen und endet mit Aktionen. Aber für viele Führungskräfte geschieht in Märkten, in denen der Wandel in Monaten und nicht in Jahren gemessen wird, zu viel und zu schnell für einen „Strategie zuerst“-Ansatz. Strategie wird vielmehr zu einem erfolgreichen Navigieren am „Rande des Chaos“ zwischen Struktur und Anarchie. In dieser Art von agiler Organisation gibt es eine kleine Anzahl von sehr strikten Regeln – das ist die Starrheit – aber ansonsten Flexibilität – das ist das Chaos.»

In anderen Konstellationen kann es sich als vorteilhafter für die Gruppendynamik und das Wohlbefinden aller Beteiligten erweisen, nach mehr Sicherheit und Konsolidierung zu streben.

Bezugsrahmen

Geert Hofstede war ein früher Befürworter der Verwendung verschiedener Deep Culture Dimensionen, wie oben beschrieben, um unterschiedliches Denken und Handeln zu verstehen. Er schuf in den 1960er und 70er Jahren ein entsprechendes Modell nationaler Kulturen, das ursprünglich vier solche Dimensionen enthielt und auf einer gross angelegten Befragung von IBM-Mitarbeitern (um aufgrund des standardisierten Rekrutierungsprozesses andere demografische Faktoren auszuschliessen) auf der ganzen Welt basierte, vgl. z. B. (Hofstede, 2003).

Einige der oben vorgestellten Dimensionen, z. B. Individualismus und Kollektivismus oder die Unsicherheitsvermeidung, sind dementsprechend ausführlich unter dem Gesichtspunkt nationaler Kulturen untersucht worden, vgl. z. B. (Hofstede et al., 2010)und zahlreiche weitere, z. B. (Triandis, 2019). Einige Autoren berufen sich sogar auf eine Dichotomie zwischen «westlichem» und «östlichem» Denken13, vgl. z.B. (Parker et al., 2009) oder (Chiang and Birtch, 2007). Im vorliegenden Artikel konzentrieren wir uns jedoch auf die Tatsache, dass sich einzelne Menschen in ihren Deep Culture Dispositionen unterscheiden14, die zwar aus dem kulturellen Hintergrund hervorgehen, in dem sie aufgewachsen sind, aber nicht ein Leben lang unverändert bleiben müssen, da sich die Deep Culture Disposition im Laufe der Zeit weiterentwickeln kann. Die Denkpräferenzen (z. B. Linearität und Nichtlinearität, wie oben erörtert) und die Verhaltensmuster im Hinblick auf die Persönlichkeitsstruktur können sich zwar ebenfalls von Mensch zu Mensch unterscheiden, bleiben aber in der Regel nach der Kindheit unveränderlich (Robinson, 2009).

Die in diesem Abschnitt skizzierten Aspekte der Deep Culture, des Denkens und Handelns können natürlich keineswegs eine umfassende – geschweige denn eine «vollständige» – Beschreibung eines so reichhaltigen und sich ständig weiterentwickelnden Themengebiets darstellen, das wahrscheinlich überproportional von akademischen Debatten und Streitigkeiten geprägt ist. Die Auswahl der Dimensionen soll vielmehr die Vielfalt der kulturellen Dispositionen sowie der Denk- und Handlungsweisen veranschaulichen, die in Gruppen von Menschen, die sich gemeinsam mit komplexen Situationen auseinandersetzen und möglicherweise darin stecken bleiben, häufig anzutreffen und fast immer relevant sind. Diese Vielfalt stellt einerseits eine zusätzliche Ebene der Komplexität dar, die die Gruppe daran hindern kann, die Situation, in der sie sich befindet, effektiv zu bewältigen. Andererseits kann gerade in dieser Vielfalt der Schlüssel zu einem fundamentalen Umdenken liegen, indem kulturelle und ethische Neutralität angewandt wird, um die unterschiedlichen Perspektiven für alle Beteiligten wahrnehmbar, verständlich und nutzbar zu machen.

Heuristics and Biases

Heuristiken – etymologisch verwandt mit dem altgriechischen «εὑρίσκω» / «eurisko» , d. h. «finden» oder «entdecken», und daher dem berühmten Ausruf «Heureka!», der Archimedes zugeschrieben wird – sind erfahrungsbasierte Problemlösungstechniken, die oft effizient annähernde oder zufriedenstellende Lösungen ergeben, wo es unpraktisch oder unmöglich ist, optimale Lösungen zu finden. Heuristische Ansätze sind in den Ingenieurwissenschaften weit verbreitet, einschliesslich der Entwicklung von Algorithmen im Software Engineering, vgl. z.B. (Martí et al., 2018) und (La Rocca, 2021). Als Denkprozess werden verinnerlichte Heuristiken in ähnlicher Weise vom Menschen genutzt:

«Unser kognitives System ist schnell und genügsam. Es ist auf mentale Abkürzungen spezialisiert. Mit bemerkenswerter Leichtigkeit bilden wir Eindrücke, fällen Urteile und erfinden Erklärungen. Wir tun dies, indem wir Heuristiken verwenden – einfache, effiziente Denkstrategien.»,

die sich aus evolutionärer Sicht als äusserst wertvoll erwiesen haben:

«Die Schnelligkeit dieser intuitiven Wegweiser fördert unser Überleben. Der biologische Zweck des Denkens besteht nicht darin, uns Recht zu verschaffen – er besteht darin, uns am Leben zu erhalten.»

(Myers, 2021).

Während heuristische mentale Abkürzungen unser Überleben als Spezies in einer Welt natürlicher Selektion gesichert haben mögen, kann heutzutage das Überleben im metaphorischen Sinn, d. h. die erfolgreiche Bewältigung einer hochrelevanten komplexen Geschäftssituation, tatsächlich davon abhängen, «Recht zu haben» – was immer das auch bedeuten mag.

Umso unheilvoller ist die – an sich nicht überraschende, aber dennoch entscheidende – Warnung, die unmittelbar auf die obige Erklärung folgt:

«In manchen Situationen führt Eile jedoch zum Irrtum».

Heuristiken scheinen also einerseits wertvolle erfahrungsbasierte Strategien für eine schnelle Problemlösung zu bieten, andererseits bergen sie aber auch die Gefahr, uns bei allzu bereitwilliger oder gar unwissentlicher Befolgung Scheuklappen aufzusetzen – «was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss».

Allgemeiner ausgedrückt: Die Notwendigkeit und der potenzielle Nutzen, sich tief verwurzelter Denkmuster bewusst zu werden und sie zu überwinden, wenn man nach neuen Lösungen strebt, ist seit langem bekannt und wissenschaftlich untersucht worden, z. B. vom amerikanischen Psychologen Abraham Luchins, der in (Luchins, 1942) argumentiert, dass

«Automatisierte Reaktionen haben ihren Platz in unserem Verhalten. Sie haben den Vorteil, dass sie einen von der Anstrengung befreien, immer wieder aufs Neue Antworten auf wiederkehrende Alltagssituationen zu finden, sie statten einen mit präzisen, fertigen und schnellen Reaktionen auf bestimmte Aspekte seiner Umwelt aus; und sie befreien den Verstand, so dass er sich angemessener mit komplizierten Aufgaben befassen kann.»,

warnt dann aber auch gleich vor der Kehrseite der Medaille, nämlich

«Wenn der Einzelne nicht angemessen mit Problemen umgeht, sondern sie lediglich aus dem Bezugsrahmen einer Gewohnheit heraus betrachtet; wenn er ein bestimmtes gewohnheitsmässiges Verhalten auf Situationen anwendet, für die es eine bessere Lösung gibt oder die in Wirklichkeit durch die gerade angewandte Gewohnheit gar nicht lösbar sind; wenn eine Gewohnheit aufhört, ein differenziert angewandtes Werkzeug zu sein, sondern zu einem Prokrustesbett wird, an das sich die Situation anpassen muss; wenn, mit einem Wort, anstatt dass der Einzelne die Gewohnheit beherrscht, die Gewohnheit den Einzelnen beherrscht – dann ist die Automatisierung in der Tat eine gefährliche Sache.».

Wenn Heuristiken zum sprichwörtlichen Hammer zu werden drohen, mit dem alle Probleme zu Nägeln werden, so sind ihre hinterhältigen Verwandten kognitive Verzerrungen. Mit diesem Begriff werden Effekte bezeichnet, die dazu führen, dass das menschliche Urteilsvermögen wesentlich und systematisch von normativen Standards wie Wahrscheinlichkeiten oder einfacher Logik abweicht (Haselton et al., 2005). Das Forschungsgebiet, das sich mit kognitiven Verzerrungen befasst, und insbesondere das Forschungsprogramm «heuristics and biases» («Heuristiken und [kognitive] Verzerrungen»), das aus der wegbereitenden wissenschaftlichen Veröffentlichung «Judgement under Uncertainty: Heuristics and Biases» von Amos Tversky und Daniel Kahneman (Tversky and Kahneman, 1974) hervorgegangen ist, hat eine beträchtliche Anzahl solcher Verzerrungen aufgedeckt, siehe z. B. (Kahneman, 2011). Während in der wissenschaftlichen Gemeinschaft eine anhaltende Debatte darüber geführt wird, ob es sich bei kognitiven Verzerrungen tatsächlich um Beurteilungsfehler handelt oder doch eher um rationale Entscheidungen, die nicht den «inhaltsblinden Gesetzen der Logik oder Optimierung» folgen – wie Gerd Gigerenzer, emeritierter Direktor des Forschungsbereichs Adaptives Verhalten und Kognition am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, argumentiert (Gigerenzer, 2008) – scheint es offensichtlich, dass, unabhängig von der genauen Natur solcher Phänomene, deren Anwendung in möglicherweise unterschiedlicher Weise durch einige oder alle Personen, die sich mit einer bereits komplexen Situation befassen, der effektiven Entdeckung derer Essenz und Lösung sehr abträglich sein kann.

Wenn wir kognitive Verzerrungen als Verfälschungen unserer Beurteilung betrachteter Entitäten oder Beziehungen verstehen, gibt es eine oft grundlegendere Ebene von Vorstellungen, auf denen sie beruhen können, die – ohne hier eine epistemologische Debatte provozieren zu wollen – im Dialog als so etwas wie axiomatische Wahrheiten aufgefasst oder dargestellt werden, die implizit oder explizit als unbestreitbare Fakten betrachtet werden. Um es mit den Worten von Russell Ackoff zu sagen,

«Meistens bezeichnen Selbstverständlichkeiten und Offensichtlichkeiten Tatsachen, deren Wahrheitsgehalt wir nicht willens sind in Frage zu stellen, und nicht Tatsachen, deren Wahrheitsgehalt unanfechtbar ist»

(Ackoff, 1987),

was zu einer Art «Tunnelblick» führt, der sich bis hin zu den Ergebnissen unserer Bemühungen erstreckt, wie Ackoff weiter ausführt:

«Unsere Vorstellung von möglichen Ergebnissen beeinflusst die Ergebnisse, die wir anstreben. Unsere Fähigkeit, Probleme zu lösen, wird somit durch unsere Vorstellung von dem, was machbar ist, eingeschränkt.».

Solche oft unbewussten Einschränkungen führen zu einer myopischen Betrachtungsweise, die unseren Lösungsraum auf eine Teilmenge aller ansonsten denkbaren Problemlösungen beschränkt, und bergen somit die Gefahr, dass die Essenz der Angelegenheit verschleiert wird, indem diese implizit und unbewusst ausserhalb der vermeintlichen Grenzen zu liegen kommt.

Zum Abschluss dieses Abschnitts streifen wir den Gegensatz zwischen intuitivem Verstehen und bewusstem Denken, der schon seit einiger Zeit am Rande dieses Textes lauert. Dieser Gegensatz zeigt sich beispielsweise in der Unterscheidung zwischen dem «angeborenen» heuristischen Verhalten von biologischem Interesse und seinem kognitiven, fast algorithmischen Gegenstück, aber auch in den unterschiedlichen Ansichten von Kahneman und Gigerenzer über die Natur kognitiver Verzerrungen. Ein Punkt, den ich aus diesem übergreifenden Thema ansprechen möchte, ist die Tatsache, dass in organisatorischen Umgebungen, zumindest in «westlichen» Kulturen, eine spürbare Tendenz besteht, bewusstes, rationales Denken gegenüber intuitivem Denken zu bevorzugen. Dies wird zumindest teilweise durch den Zeitgeist hervorgerufen, der im Kielwasser der evidenzbasierten Medizin den Fokus auf evidenzbasiertes Management legt, vgl. z.B. (Pfeffer and Sutton, 2006) oder die 2005 gehaltene Präsidentenrede von Denise Rousseau an der Academy of Management Review (Rousseau, 2006), in der sie Folgendes sagte:

«Durch evidenzbasiertes Management entwickeln sich praktizierende Manager zu Experten, die organisationsbezogene Entscheidungen auf der Grundlage von sozialwissenschaftlichen und organisationswissenschaftlichen Erkenntnissen treffen (…), indem sie professionelle Entscheidungen weg von persönlichen Vorlieben und unsystematischen Erfahrungen hin zu solchen treffen, die auf den besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen»,

ein Beitrag, der später im selben Jahr in derselben Zeitschrift wie folgt kommentiert wurde:

«Während Professor Rousseau die enormen Umsetzungsprobleme anerkennt, mit denen evidenzbasiertes Management konfrontiert sein könnte, wird ihr offensichtlicher Glaube an die Wirksamkeit der Wissenschaft bei der Lösung von Organisationsproblemen durch komplexere und tiefgreifendere Probleme (…) theoretischer und politischer Art in Frage gestellt, die sie nicht direkt anspricht.»

(Learmonth, 2006).

Angesichts einer derartigen Debatte ist es kaum verwunderlich, dass Studien durchgeführt worden sind, die zeigen, wie in der Praxis Managemententscheidungen zu einem bestimmten Grad15 auf der Grundlage von Intuition, einer Vorahnung oder eines «Bauchgefühls» getroffen werden, nur um später mit einer dünnen Schicht rationaler Analyse oder Bewertung überzogen zu werden, wie es vom organisatorischen Kontext verlangt wird, vgl. z.B. (Agor, 1986), wofür auch viel anekdotische Evidenz existiert, im Stile der Aussage

«Die ursprüngliche Entscheidung beruhte wohl auf dem Bauchgefühl, danach muss man sicherstellen, dass man über genügend Evidenz verfügt, um sie zu untermauern»

(Hensman and Sadler-Smith, 2011).

Kein Bedürfnis verspürend, intuitiven Entscheidungsfindungen oder analytischen, rationalen Ansätzen ein bestimmtes, geschweige denn universelles Werturteil zuzuschreiben, habe ich jedoch die Erfahrung gemacht, dass es immens wertvoll ist, in einer Gruppe, die sich mit einer komplexen Situation befasst oder in einer komplexen Umgebung operiert, zu überlegen, wie diesbezüglich die einzelnen Beiträge geleistet werden, aber auch kognitive Verzerrungen und verborgene Annahmen ans Licht zu bringen, die die Gruppe sonst in die Irre führen könnten.

Essentielles Umdenken

Dispositionen bezüglich Deep Culture, Denkpräferenzen und Verhaltensmuster bestimmen wie wir wahrnehmen, denken und kommunizieren. Sie bilden die Grundlage dafür, wie wir in einer Zusammenarbeit mit anderen beitragen: sie sind es, die unsere eingebrachten Perspektiven unterschiedlich und wertvoll machen, wenn wir uns mit Komplexität auseinandersetzen. In der Praxis haben wir alle auch persönliche, erfahrungsbasierte Denkabkürzungen erworben, die es uns ermöglichen, schnell voranzukommen und kognitive Energie für scheinbar lohnendere Situationen zu sparen; die Krux liegt in der unbewussten Anwendung solcher Heuristiken bzw. darin, dass wir von unentdeckten kognitiven Verzerrungen beeinflusst werden können.

Die Auswahl von Aspekten dieser Phänomene, die obenstehend erörtert worden sind, erhebt natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit16, sondern soll die reichhaltigen Grundlagen einer kooperativen Bewältigung komplexer Situationen veranschaulichen, die vielen Menschen nicht bewusst sind. Diese unterschiedlichen Veranlagungen und Neigungen der Beteiligten können für die Suche nach einem Lösungsweg von grossem Nutzen sein, wenn sie wahrgenommen und sinnvoll eingesetzt werden, oder aber sie bilden eine bisweilen undurchdringliche zusätzliche Schicht von Komplexität, Missverständnissen und Unstimmigkeiten, wenn sie im Verborgenen bleiben. Zu den Symptomen des letzteren Falls gehören Situationen, in denen

  • allen Beteiligten alles klar zu sein scheint und dementsprechend Entscheidungen getroffen werden, aber bei einem frustrierenden Gefühl der «Zähflüssigkeit» keine Fortschritte erreicht werden,
  • man immer wieder auf denselben Punkt zurückkommt, der vor langer Zeit gelöst schien,
  • ein implizites und stillschweigendes Verständnis überhand nimmt, dass mit den Personen, die aktuell an der Bewältigung der Situation beteiligt sind, der gewünschte oder erforderliche Fortschritt nicht erzielbar ist, weil einige Teilnehmende es scheinbar «einfach nicht begreifen».

Um möglicherweise dazu beizutragen, dass der Leser nicht in solch nachteilige und potenziell frustrierende Sackgassen gerät, wenden wir uns nun dem Beitrag kultureller und ethischer Neutralität in solchen Situationen zu und somit einer Form der Interaktion, die Stuart und ich als Essentiellen Dialog («Essential Dialogue») bezeichnen, zunächst scherzhaft abgeleitet von «essential work», dann – als die Gültigkeit der Metapher klar wurde – wegen der Chance, die sie für ein fundamentales Umdenken bieten kann.

In «The Value of Neutrality» definiert Stuart kulturelle Neutralität als

«die Kunst, (wahrgenommen zu werden) keine persönliche Neigung zu einer der Ausprägungen von Wahrnehmungs- oder Wertesystemen in einer bestimmten Situation zu haben.» (Robinson, 2007).

An dieser Stelle sei auf die Absolutheit der Neutralität im Verständnis von Stuart hingewiesen, der kulturelle und ethische Neutralität ausdrücklich von der Bedeutung von Neutralität im allgemeinen Sprachgebrauch abgrenzt:

«Kulturelle Neutralität geht über die Art von Neutralität hinaus, die viele westliche Kulturen verstehen, d.h. über eine Unparteilichkeit bezüglich der Position. Kulturelle Neutralität beinhaltet die Kunst, keinen persönlichen Standpunkt zu einer bestimmten Sichtweise oder einem bestimmten Wertesystem einzunehmen und mit den Anwesenden auf die kontextuell angemessenste Weise in einen Fluss zu kommen.».

Für diejenigen von uns, die in einer «westlichen» Gesellschaft aufgewachsen sind, ist es zumindest ungewöhnlich und bisweilen äusserst anspruchsvoll, keine persönliche Neigung zu einer bestimmten Auffassung oder einem bestimmten Wert zu verspüren. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass viele Lehrpläne verschiedener Studienrichtungen und Berufsausbildungen dazu ermutigen oder sogar verlangen, sich eine Meinung zu bilden, diese zu verteidigen und einen persönlichen Standpunkt einzunehmen. Beim Übergang in das Berufsleben ist es oft eine gefragte und geförderte Eigenschaft, schnell eine Meinung zu allen möglichen Themen zu haben – erst recht in dem Gebiet, in dem man als Experte wahrgenommen wird – und in einer bestimmten Situation klar zu wissen, wo es lang geht; je höher die Position und die Führungsverantwortung in einer Organisation, umso mehr17.

Umgekehrt ist es das entgegengesetzte Verständnis kultureller und ethischer Neutralität, das es erlaubt, an einem Problemlösungsdialog nicht nur in dem allgemein verstandenen Sinne teilzunehmen, dass man Teil der Diskussion ist – oder je nach den Erfordernissen der Situation in der Rolle eines «Facilitators» oder Moderators agiert – sondern auch alle Hinweise wahrzunehmen, die die Deep Culture Dispositionen, Denkpräferenzen und Verhaltensmuster der interagierenden Menschen erkennen lassen. Der Kontrast zum überzeugten Vertreten von Meinungen, zum engagierten Debattieren und zum beharrlichen Verhandeln im Sinne der eigenen Interessen könnte nicht grösser sein. Gerade das Bedürfnis, nicht alles Gesagte mit Werturteilen zu belegen, sondern empathisch zuhören zu können, kann Zugang zu einer reichhaltigen Ebene des Dialogs ermöglichen, die für Teilnehmende, die an diese Praxis nicht gewöhnt sind, verborgen bleibt.

Die Fähigkeit, «mit den Anwesenden in einen Fluss zu kommen», und zwar in einer Weise, die in einem bestimmten Kontext am besten geeignet ist – was auch den Zeitpunkt und die Art und Weise einschliesst, wie solche Wahrnehmungen mit der Gruppe geteilt werden – kennzeichnet den Beitrag eines «Facilitators», der die Lösung einer komplexen Situation auf der Grundlage kultureller und ethischer Neutralität unterstützt. Der potenzielle Wert eines solchen Beitrags wird deutlich, wenn man sich mit «bösen» Problemen in der Praxis auseinandersetzt und aus erster Hand erfährt, dass sie sich rationalen Analysemethoden und Top-down-Plänen entziehen – in den Worten von Nancy Roberts:

«Die Rolle des Designers/Facilitators musste notwendigerweise sehr flexibel und anpassungsfähig sein – eine Rolle, die sich ständig in Bezug auf die Bedürfnisse und das Verständnis der Teilnehmer weiterentwickelte.»

(Roberts, 2000).

Um zu veranschaulichen, wie sich diese Art der Mitwirkung von der eines versierten Moderators unterscheidet, der im Verlauf eines Problemlösungsprozesses die Techniken umstellt oder die Pläne auf eine Art anpasst, die man als agil bezeichnen kann, können wir die folgende Erfahrung von Stuart aus seiner Arbeit in der Konfliktschlichtung betrachten (Robinson, 2007):

«Nicht selten habe ich festgestellt, dass Menschen einen intensiven Konflikt ausfochten, aber aufgrund ihrer unterschiedlichen Wahrnehmungssysteme keine gemeinsame Vorstellung davon hatten, worum sie eigentlich stritten.»

Übertragen auf die oben beschriebenen Situationen lässt sich eine sehr ähnliche Beobachtung machen, nämlich, dass Menschen oft intensiv um die Lösung einer komplexen Situation ringen, aber aufgrund ihrer unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Denksysteme, die in ihren Deep Culture und ethischen Dispositionen verwurzelt sind, keine gemeinsame Vorstellung haben

  • vom Problem selbst, wobei zu bedenken ist, dass «böse» Probleme per Definition nicht präzise formuliert werden können
  • darüber, was (und wie) bereits an Lösungsansätzen versucht worden ist,
  • über die erzielten Fortschritte bezüglich eines möglichen Weges nach vorn,
    und
  • welches die nächsten vielversprechenden Schritte sind.

An dieser Stelle sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die möglicherweise divergierenden Interessen, Motivationen und Agenden der Beteiligten – ob offengelegt oder zu verbergen versucht – bei dieser Betrachtung nicht ausser Acht gelassen werden können. Abgesehen von einem kontextuellen oder organisatorischen Hintergrund, der sie beeinflusst, können diese Aspekte – ebenso wie die oben beschriebenen – in der Deep Culture Disposition, den Denkpräferenzen und Verhaltensmustern einer Person verwurzelt sein oder von ihnen beeinflusst werden. Wiederum auf die Erfahrungen von Stuart zurückgreifend, stellen wir fest, dass

«um Konflikte nachhaltig zu lösen»,

oder, in unserem Fall, eine komplexe Situation gemeinsam effektiv anzugehen,

«kann es oft hilfreich sein, nicht nur zu erkennen, wo die Werte aufeinanderprallen, sondern vor allem, wo die Wahrnehmungen auseinandergehen.».

Für jeden, der an einer komplexen Problemlösung beteiligt ist, ist ein besseres Verständnis der potenziell abweichenden Wahrnehmungen der anderen Teilnehmenden an sich schon ein wertvoller Schritt auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verständnis, wie oben dargelegt. Wenn man von dort aus zur Ebene aller beteiligten Perspektiven übergeht – d.h. zusätzlich die Gedanken, Ideen, Konzeptualisierungen und mentalen Modelle, aber auch Intuitionen und Gefühle einbezieht – durchbricht man die Schicht potenzieller Missverständnisse und Unstimmigkeiten, die durch die unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Denksysteme der Teilnehmenden entstehen kann, und ermöglicht es der Gruppe, sich effektiv auf das Wesentliche der Situation zu konzentrieren, einschliesslich der Fälle, in denen divergierende Interessen, Motivationen und Ziele im Spiel sind.

Während diese Beschreibung der Absicht und des potenziellen Nutzens eines solchen Beitrags ähnlich erscheinen mag wie das, was in verschiedenen oben beschriebenen Ansätzen zur Lösung «böser» Probleme vorgeschlagen wird (z. B. «den Beteiligten zu helfen, die Positionen und Argumente der anderen besser zu verstehen» (Ritchey, 2011)oder «ein gemeinsames mentales Modell zu bilden» (Horn, 2018)), geht die Arbeit auf der Ebene der Deep Culture, der Denkpräferenzen und Verhaltensmuster weit über diese Methoden hinaus, wobei diese sich gerade deshalb als wertvolle Instrumente zur Strukturierung des «Flusses» der Gruppe erweisen können. In der Tat ist die Möglichkeit, als Gruppe zu bestimmen, welche Ansätze angesichts der kollektiven Erfahrung aller Beteiligten und der Fortschritte, die ihrer Auffassung nach bisher gemacht worden sind, für die jeweilige Situation am besten geeignet sind, ein weiterer potenzieller Vorteil des Beitrags der Neutralität, da persönliche Präferenzen zugunsten dessen relativiert werden, was unserem metaphorischen Überleben zugutekommt.

Ein solches Überleben endet nicht mit dem Erreichen der Essenz der Situation, in der man feststeckte, und dem Finden eines klaren Weges nach vorne, nachdem man möglicherweise fundamental umdenken konnte, sondern erstreckt sich auf

  • die Kommunikation über die entdeckte Essenz der Situation, die Ergebnisse eines fundamentalen Umdenkens sowie den neu entdeckten Weg nach vorn,
    wie auch
  • die Operationalisierung dieses klaren Weges in die Zukunft.

Entscheidend ist, dass sowohl die Kommunikation als auch die Operationalisierung auf die Perspektiven aller Beteiligten zurückgreifen und nahtlos an den etablierten «Fluss» mit den Mitwirkenden anknüpfen können.

An dieser Stelle sind zwei Vorbehalte zu erwähnen: Erstens können sich einige Teilnehmende unwohl, bedroht oder entfremdet fühlen, wenn eine lange gehegte Position durch die Enthüllung von zugrundeliegenden Annahmen und kognitiven Verzerrungen geschweige denn von nicht offengelegten Interessen, Motivationen oder Absichten in unangemessener Weise in Frage gestellt wird. Dies gilt umso mehr, wenn Elemente der Deep Culture einer Person, ihre Denkpräferenzen oder Verhaltensmuster anderen in unangemessener Weise offengelegt werden18. Dies sind Aspekte, auf die ein «Facilitator» besonders achten muss, um sicherzustellen, dass sein Beitrag nicht genau das Gegenteil von dem bewirkt, was benötigt wird.

Bei der Entwicklung der eigenen interkulturellen und interethischen Kompetenz und damit der kulturellen und ethischen Neutralität verwendet Stuart ein Verständnis von Empathie als

«sich ohne Selbstbezug und ohne Wertung in die Eigenheiten der mentalen und emotionalen Zustände anderer Menschen hineinzufühlen»

(Robinson, 2014).

Es ist genau diese Empathie, die es einem ermöglicht, die Dispositionen einer anderen Person in Bezug auf Deep Culture, Denkpräferenzen und Verhaltensmuster wahrzunehmen. Es ist auch diese Empathie, die es einem neutralen «Facilitator» ermöglicht, ständig eine Vorstellung davon zu entwickeln, was die kontextuell angemessenste Art und Weise ist, «mit den Anwesenden in einen Fluss zu kommen» und zur Lösung der Situation beizutragen. Um ein Zitat von Stuart aufzugreifen, der die Ängste von Konfliktparteien anspricht, die das Gefühl haben, dass ihre anfängliche Position der Stärke abgebaut wird und sie ihr Gesicht verlieren, gepaart mit einer Unsicherheit über den Prozess selbst:

«Meiner Erfahrung nach beginnen sich diese Ängste aufzulösen, sobald die Parteien erkennen, dass sie vom Vermittler nicht beurteilt werden.».

(Robinson, 2007)

Diese Aussage lässt sich in meiner Erfahrung auch auf die Zusammenarbeit bei der Lösung komplexer Situationen oder die Unterstützung eines entsprechenden Austauschs anwenden.

Der zweite Vorbehalt ergibt sich unmittelbar aus dem ersten: Wie die obigen Beschreibungen zeigen, ist die Suche nach der Essenz der Situation, die – wenn nötig – ein grundlegendes Umdenken ermöglicht, um einen klaren Weg nach vorne zu finden, mit einem besonderen Verständnis von Verantwortung verbunden. Es zeigt sich, dass «mit den Anwesenden in einen Fluss zu kommen» nicht damit vereinbar ist, auf eine Sammlung von Methoden oder Vorlagen in einem «Werkzeugkasten» zurückzugreifen oder gar die eigene Rolle im Problemlösungsprozess statisch zu definieren: einen angemessenen Beitrag zu leisten, erfordert die Fähigkeit, die Form der eigenen Interaktion mit allen anderen am Prozess Beteiligten immer wieder neu zu definieren, unterstützt durch das wachsende Bewusstsein für die relevanten Aspekte ihrer Wahrnehmungs- und Denksysteme. Ferner ist es eine Kunst für sich, jederzeit von allen Beteiligten als neutral wahrgenommen zu werden.

Wir wenden uns nun dem Ergebnis eines komplexen Problemlösungsprozesses zu, der von kultureller und ethischer Neutralität getragen wird, und zitieren ein letztes Mal Stuart, um seine Erkenntnisse aus der Konfliktschlichtung erneut auf den kooperativen Umgang mit komplexen Situationen zu übertragen,

«Ich stelle fest, dass diese besondere Form der Interaktion effizienter zu einer holistischeren Lösung führt, und zwar mit dem grossen Vorteil, dass sie selbstgeneriert ist.».

Viele Leser sind zweifellos mit dem befriedigenden Gefühl der Entdeckung und des Erkenntnisgewinns vertraut, wenn man endlich ein Problem auf die Art und Weise löst, die manchmal als «outside the box thinking» bezeichnet wird – oder vielleicht eher dem Denken innerhalb einer ausreichend grossen Box (Coyne et al., 2007), oder wenn man endlich eine hartnäckige kognitive Verzerrung entlarvt, die einem Scheuklappen aufgesetzt hatte und die eigene Blindheit, in der man im Rückblick agierte, verschlimmerte. Die Empfindung, die sich einstellt, wenn man die Essenz der Situation erkannt hat, die es einem ermöglicht, fundamental umzudenken, ist oft ähnlich wie die oben beschriebene, nur verstärkt durch die Bedeutung und die «Bösartigkeit» der Situation. Im Nachhinein erscheint es fast undenkbar, dass die Essenz nicht schon früher erkennbar war, und unvorstellbar, dass der Weg nach vorne nicht von Anfang an offensichtlich war. Nachdem ein solches Umdenken stattgefunden hat, hat der bahnbrechende Gedanke in der Regel eine dauerhafte Wirkung, da er das künftige Denken und damit die Entscheidungsfindung nachhaltig bereichert19.

Fazit

Wir haben diesen Artikel in Aberdeen begonnen und den Begriff der Neutralität, wie er im allgemeinen Sprachgebrauch und in der Politik verwendet wird, am Beispiel der Schweizer Neutralität im Ukraine-Krieg untersucht. Diese Verwendung von Neutralität steht im Gegensatz zur Definition von kultureller und ethischer Neutralität, die Stuart Robinson in seiner Arbeit in der interkulturellen und interethischen Konfliktschlichtung verwendet und die die Grundlage für unsere Beratungstätigkeit bildet. Bei der Arbeit mit Kunden an Visionen von Organisationen, an den Strategien, mit denen diese Visionen verfolgt werden, an der Kultur, in der diese Strategien umgesetzt werden, und an den ethischen Werten, die einer Organisation zugrunde liegen, hat sich die Anwendung einer solchen radikalen Form der Neutralität als äusserst wertvoll erwiesen, um rasch ein Verständnis der zugrunde liegenden Prämissen, der Deep Culture Hintergründe, der Denkpräferenzen und Verhaltensmuster der beteiligten Menschen zu entwickeln. Eine solche Arbeitsweise beinhaltet eine Form des Austauschs, mit der es möglich wird, durch alle scheinbar wichtigen und dringenden Themen hindurch direkt zur Essenz einer fundamental wichtigen Situation vorzudringen.

Anfangs fühlt man sich vielleicht mit einem Mangel an gangbaren Handlungsoptionen konfrontiert, manchmal aber auch mit einer verwirrenden und beunruhigenden Komplexität von scheinbar aussichtslosen Optionen und damit verbundenen Verstrickungen. Diese Misere hängt oft mit der vorherrschenden Unsicherheit und dem Mangel an verlässlichen Informationen zusammen, aber auch mit Ablenkungen, die ständig unsere Aufmerksamkeit beanspruchen, sowie mit Zeitdruck, der die erforderliche Konzentration und klare Gedanken verhindert. Im Nachhinein stellt man fest, dass die komplexe, «böse» oder «unordentliche» Situation, in der man sich befand, ein fundamentales Umdenken erfordert hätte, um einen Weg nach vorne zu finden, eine Notwendigkeit, die damals nicht erkannt oder anerkannt wurde. Genau hier kann der Wert der Neutralität deutlich werden, indem sie hilft, unbewusste und implizite Annahmen, kognitive Verzerrungen, derer man sich vielleicht nicht bewusst ist, sowie kulturelle und ethische Prämissen und Sichtweisen aller Beteiligten zu erkennen. Sich dieser Elemente in einem Dialog über eine komplexe Situation bewusst zu werden und sie in einer dem Kontext angemessenen Weise transparent zu machen, ermöglicht es den Beteiligten, gemeinsam zur Essenz der Situation vorzudringen und die sehr wohl gangbare Option eines fundamentalen Umdenkens zu gewinnen.

Alan Ettlin, 18. Dezember 2022

Literaturverzeichnis

  1. Ackoff, R.L. (1974) Redesigning the Future: A Systems Approach to Societal Problems, John Wiley & Sons. (zurück)
  2. Ackoff, R.L. (1981) ‚The Art and Science of Mess Management‘, Interfaces, vol. 11, no. 1, pp. 20-26. (zurück)
  3. Ackoff, R.L. (1987) The Art of Problem Solving: Accompanied by Ackoff’s Fables, Wiley. (zurück)
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Fussnoten

  1. Der Begriff «Kultur» wird in der Literatur und im Alltag unterschiedlich verwendet und überschneidet sich manchmal auch mit den Begriffen «Ethik» und «Moral», vgl. (Robinson, 2014). In diesem Text bezieht sich «Kultur» auf «die Art und Weise, wie wir hier Dinge tun», was in einem organisatorischen Kontext oft durch den Begriff «kulturelle Prinzipien» ausgedrückt wird, während sich «Ethik» auf die zugrunde liegenden Werte der Entität bezieht. Somit sind Ethik und Multiethikalität in ihrer Bedeutung für die Argumente, die ich im Folgenden erläutern werde, auf gleicher Ebene mit Kultur und Multikulturalität zu verstehen. (zurück)
  2. Vgl. z.B. (Kant, 1795) für eine frühe Erwähnung des in den Natur- und Ingenieurwissenschaften, vgl. z.B. (Chmarra et al., 2008) aber auch in den Sozialwissenschaften, vgl. z.B. (Posner et al., 2010), so weit verbreiteten «Teile und Herrsche»-Ansatzes. (zurück)
  3. Die Verwendung des Ausdrucks «böse» mag für einen akademischen Text überraschend emotional erscheinen und es kann nur gemutmasst werden, dass er aus einer echten Frustration heraus entstanden ist. Interessanterweise scheint in der Literatur Uneinigkeit darüber zu herrschen, ob die fraglichen Probleme «böse» im Sinne von «bösartig» (vgl. z.B. (Rittel and Webber, 1973): «malignant», «vicious», «aggressive») oder nur «ernsthaft hinterhältig» («seriously devious») (Ritchey, 2011) sind. (zurück)
  4. Gemäss (Rittel and Webber, 1973), viel eher (temporäre) «Beseitigungsansätze» («resolution approaches»), da «soziale Probleme nie gelöst werden. Bestenfalls werden sie immer wieder neu beseitigt», womit die Autoren das Fehlen optimaler Lösungen – im Sinne endgültiger und objektiver Antworten – für «böse Probleme» betonen. Russell Ackoff beschreibt die Problemlösung als «Auswahl einer Vorgehensweise, die zu einem Ergebnis führt, das befriedigt und ausreicht», wobei die «Auflösung» («dissolution») von Problemen eine gangbare Alternative darstellt: «Veränderung der Natur und/oder der Umgebung der Einheit, in die sie eingebettet ist, um das Problem zum Verschwinden zu bringen» (Ackoff, 1981). (zurück)
  5. Die Fallstudie veranschaulicht auch die Schwierigkeiten, die bei der Anwendung eines Expertenansatzes auftreten, der – wie oben erläutert – nach Cynefin besser für «komplizierte» als für «komplexe» Probleme wie die Koordinationsarbeiten in Afghanistan geeignet ist. (zurück)
  6. Der Begriff «Facilitator» wird in Anlehnung an das englischsprachige Original verwendet, um diese spezifische Art der Begleitung einer Gruppe von beispielsweise der Moderation zu unterscheiden. (zurück)
  7. For a small selection of widespread tools for decision-making and strategic thinking, cf. e.g. (Krogerus and Tschäppeler, 2011). (zurück)
  8. Die Ausbildung und Selektion von Personen, die in «westlichen» Kulturen in Führungspositionen gelangen, kann durchaus zu einer Verzerrung im Vergleich zur Gesamtbevölkerung führen, aber das ist eine Diskussion, die ausserhalb dieses Artikels zu führen ist, siehe z.B. (Robinson, 2010). (zurück)
  9. Einige philosophische Denkschulen gehen in ihrer Verwendung des Begriffs «Determinismus» noch weiter und beziehen auch menschliche Handlungen mit ein, was zu einer Vorbestimmung führt und manchmal eine Gottheit als determinierende Instanz einschliesst. (zurück)
  10. Im Buch von Adams wird der Begriff «Chaos» nicht wie in diesem Artikel verwendet, sondern im allgemeinen Sprachgebrauch im Sinne eines Durcheinanders oder einer Verwirrung – was natürlich das Ergebnis einer chaotischen Umgebung im hier verwendeten Sinne sein kann. (zurück)
  11. Unsicherheitsvermeidung ist nicht zu verwechseln mit Risikovermeidung: Risiko bedeutet grob gesagt die Wahrscheinlichkeit, dass etwas Unerwünschtes bzw. ein Schaden eintritt, während Ungewissheit die Eigenschaft ist, dass etwas unbekannt oder unbestimmt ist, dass also Informationen fehlerhaft sind oder fehlen. (zurück)
  12. Mit einem vorausschauenden Wink auf die Anwendung von Heuristiken, die im nächsten Abschnitt erörtert werden. (zurück)
  13. Insbesondere ein Teil der Texte über Individualismus und Kollektivismus, die oft von Autoren mit US-amerikanischem Bezug stammen, verwendet die Begriffe auch mit einer starken politischen Konnotation, d. h. sie konzentrieren sich darauf, wie stark die kollektiven Institutionen des Staates das Leben der Einzelnen beeinflussen oder sich in diese einmischen sollen. In einigen Fällen scheint eine solche politische Konnotation nicht explizit beabsichtigt zu sein, aber kulturelle Neigungen im Sinne von Individualismus und Kollektivismus lassen sich beim Studium vieler solcher Schriften dennoch erahnen. (zurück)
  14. In der Formulierung wird das Wort «Individuum» bewusst vermieden, da es auf ein individualistisches Verständnis schliessen lassen könnte. (zurück)
  15. Wobei über die Dunkelziffer nur gemutmasst werden kann. (zurück)
  16. Es ist wertvoll, sich vor Augen zu halten, wie verschiedene Denkschulen ähnliche Beobachtungen und Begriffe wie Deep Culture, Denkpräferenzen, Verhaltensmuster, Heuristiken und kognitive Verzerrungen aus verschiedenen Perspektiven angehen, möglicherweise mit unterschiedlichem Vokabular und oft mit ihren eigenen Interessen innerhalb des reichhaltigen akademischen Dialogs, der die sich überschneidenden Forschungsbereiche umgibt. (zurück)
  17. In der deutschsprachigen Schweiz z.B. sind die Menschen tendenziell weniger atomistisch, individualistisch und universalistisch geprägt als in Ländern wie den USA, Grossbritannien, Frankreich, und auch Deutschland – aber die Verstärkung und teilweise Aneignung dieser Deep Culture Merkmale durch den Einfluss von Lehrern, Dozenten, Autoren, Kollegen und Managern z.B. aus solchen Ländern ist gut zu beobachten, vgl. (Robinson, 2010). (zurück)
  18. Da kulturelle und ethische Neutralität die Grundlage für die beschriebene Art beizutragen bilden, ist es selbstverständlich, dass an sich kein Interesse daran bestehen kann, die gewonnenen Erkenntnisse in einer nicht-neutralen, d.h. positionellen oder parteiischen Weise zu nutzen. (zurück)
  19. Gleichzeitig sollte man sich stets die Gefahr vor Augen halten, dass man sich bei der Bewältigung neuer Situationen nun zu sehr auf den neu gefundenen Lösungsansatz versteift (vgl. die obige Diskussion über «automatisierte» Problemlösungensansätze). (zurück)