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Ethisches Gesundheitsmanagement – eine kurze Einführung

von Stuart D.G. Robinson

Inhalt

1. Das Management der Ethischen Gesundheit einer Organisation
2. Die wichtigsten Prozesse und Instrumente bei der Neubesetzung von Führungspositionen

1. Das Management der ethischen Gesundheit einer Organisation

Das Management der ethischen Gesundheit einer Organisation zählt wahrscheinlich zu den komplexesten und persönlich herausforderndsten Aufgaben der obersten Führung.

Dass das Ethical Health Management eine so zentrale Bedeutung einnimmt, lässt sich in der Tatsache begründen, dass die gelebte Ethik einer Organisation die treibende Kraft hinter den folgenden kritischen Erfolgsfaktoren darstellt:

  • ihrer raison d’être und Vitalität
  • ihrer Vision, Reputation und Strategie
  • ihrer Risikopolitik
  • ihrer Kultur und Personalpolitik
  • ihrer Führungs- und Fachexpertise.

In der Hektik des Führungsalltags wird das Management der ethischen Gesundheit häufig vernachlässigt: Schwächen in der Oganisationsethik werden zu spät bzw. gar nicht erkannt – meistens, weil die Sensibilisierung, die Instrumente, die Prozesse und die Expertise suboptimal entwickelt sind.

Die Ethik jeder Organisation ist einzigartig, da sie untrennbar mit der kollektiven ethischen Grundhaltung deren Mitarbeitenden sowie mit der persönlichen Ethik ihrer prägendsten Persönlichkeiten verbunden ist.

Genau diese Einzigartigkeit ist es, die die Menschen in der Aussen- und Innenwelt anzieht, sie an die Organisation bindet bzw. sie dazu bringt, sich davon zu distanzieren und ggfs. zu einem Mitbewerber überzuwechseln. Nicht nur die inhaltliche Ausgestaltung des ethischen Profils und des ethischen Fussabdrucks der Organisation, sondern auch der Grad an Übereinstimmung zwischen den ethischen Profilen der einzelnen Mitwirkenden bestimmen die alltäglichen Handlungen, die Reputation und den damit verbundenen Erfolg oder Misserfolg.

Wenn ethische Divergenzen in der Innenwelt bzw. wenn Divergenzen zwischen der Organisation und deren Aussenwelt zu stark werden, kann das Sozialkapital sowie die fachliche Expertise und wirtschaftliche Substanz der Organisation anfangen, abzusterben – manchmal mit hoher Geschwindigkeit. Das heisst, dass bestimmte Konstellationen und Ausprägungen ethischer Grundhaltungen prädestiniert sind, eine Organisation zum Erfolg zu führen, und andere nicht.

Die Komplexität der Ethical Health Management Aufgabe liegt teilweise in der Identifikation und Steuerung der relevanten, sich oft gegenseitig beeinflussenden Faktoren, die in die tatsächlich gelebte Organisationsethik münden und die den Grad an ethischer Homogenität innerhalb der Organisation bestimmen. Wie beim Phänomen Kultur wird Ethik meist erst dann ein Thema bzw. fällt erst dann auf, wenn sich ethische Divergenzen bemerkbar gemacht haben. (Siehe u.a. ‘If You Are Rethinking Your Ethics – in line with developments in digitalisation, artificial intelligence, superintelligence and singularity’ von Stuart D.G. Robinson, 2017.)

Divergenzen zwischen ethischen Grundhaltungen können sowohl zwischen verschiedenen organisatorischen Ebenen und Einheiten als auch zwischen Individuen innerhalb eines Gremiums oder Gruppe bestehen. Sobald sie festgestellt werden, lassen sie sich durch Massnahmen wie die folgenden lösen:

  • Entwicklung der ethischen Kompetenz der betreffenden Personen mittels Ethical Health Consultations
  • Neubesetzungen infolge eines Ethical Assessment Verfahrens
  • Entscheidung auf der Ebene des obersten Führungsorgans, inwieweit eine mono-ethische oder eine multi-ethische Organisation gebildet werden soll. Siehe u.a. ‘Interethical Competence’ von Stuart D.G. Robinson, 2014

2. Die wichtigsten Prozesse und Instrumente bei der Neubesetzung von Führungspositionen

Zur Verantwortung, die das oberste Führungsorgan einer Organisation zu tragen hat, zählt die proaktive Reflektion und Festlegung der Priorisierung von Ethical Health Management.

In Situationen, wo ein Wechsel auf der höchsten Verwaltungs- oder Führungsebene bevorsteht, wird empfohlen, ein Ethical Assessment derjenigen Kandidaten und Kandidatinnen durchzuführen, die die Stellenanforderungen erfüllen und in die engere Auswahl einbezogen worden sind. Die Begründung liegt darin, dass die ethische Grundhaltung der obersten administrativen und operativen Führungspersonen einen prägenden Einfluss auf die gelebte Ethik der Organisation ausübt, auch wenn diese Grundhaltung unreflektiert bzw. lediglich implizit in Handlungen und Entscheidungen einfliesst.

Das Ziel eines Ethical Assessments ist es, sowohl das Denkprofil der Person als auch ihre Persönlichkeitsstruktur, ihre kulturelle Prägung (deep-culture) und ihre ethische Grundhaltung (deep-ethics) zu erfassen und dadurch sicherzustellen, dass ihr potenzieller Einfluss auf die Ethik der Organisation gründlich analysiert worden ist.

Idealerweise soll vor einem solchen Wechsel jedes Mitglied der obersten Führungsorgane grundsätzlich die Möglichkeit erhalten haben, an einer individuellen Ethical Health Consultation teilzunehmen. Sowohl bei Ethical Assessments als auch bei Ethical Health Consultations wird das ethische Profil sowie der ethische Fussabdruck einer Person erstellt; zudem wird ihre ethische Kompetenz evaluiert. Im Gegensatz zu Ethical Assessments werden bei den Consultations, die nur auf freiwilliger Basis angeboten werden sollten, die individuellen Ergebnisse als das streng vertrauliches ‘Eigentum’ der betreffenden Person behandelt. Erfahrungsgemäss tauschen viele Menschen, die an einer solchen Consultation teilgenommen haben, einen Grossteil der organisationsrelevanten Ergebnisse untereinander aus. In Fällen, wo jemand unüberwindbare Divergenzen zwischen der vorherrschenden und der eigenen ethischen Grundhaltung erkennt, kann es vorkommen, dass die Person das Gespräch mit dem Vorgesetzten sucht, um mögliche Konsequenzen zu diskutieren.

Im Anschluss an den individuellen Konsultationen besteht die Möglichkeit, wenn alle Teilnehmenden einverstanden sind, die Ergebnisse in anonymisierter Form zusammentragen zu lassen, um daraus das ethische Profil sowie das Niveau an ethischer Kompetenz des Führungsgremiums zu erstellen und zu reflektieren. In separaten Erhebungen wird der ethische Fussabdruck der Organisation erfasst. Diese Auswertungen bilden eine sehr solide Informationsbasis für die Ausarbeitung eines ethischen Soll-Profils für die Organisation: Dieses Soll-Profil spielt eine zentrale Rolle bei Ethical Assessments von Kandidaten und Kandidatinnen für Führungspositionen zur Anwendung.

Stuart D.G. Robinson
24.06.2018